Vor langer, langer Zeit erkrankte in Rom der mächtige Kaiser Tiberius. Er litt schwer und auch die geschicktesten Ärzte konnten ihn nicht heilen. Da vernahm er, dass in Jerusalem ein Arzt sei, der alle Kranken heilen könne. So schickte er seinen treuen Diener Alban nach Jerusalem um diesen Mann zu finden.
Auf Albans Frage hin erschrak der dortige römische Landpfleger Pilatus sehr und sagte zu Alban: «Ich weiss nicht wo dieser Wunderheiler lebt.» Damit wollte er verheimlichen, dass der Arzt niemand geringeres als Jesus von Nazareth war. Diesen hatte Pilatus jedoch kurz zuvor kreuzigen lassen.
Durch einen Zufall erfuhr der kranke Kaiser von Pilatus Lüge und dem Mord. Er liess Pilatus in den Kerker werfen, wo dieser Selbstmord verübte. Seine Leiche warfen die Römer in den Tiber, worauf das Wasser des Flusses ungeniessbar wurde. Man brachte ihn nach Frankreich und versenkte ihn in der Rhone – doch dort geschah das Gleiche wie in Rom. Man fischte den Leichnam abermals hinaus und brachte Pilatus in die Bischofsstadt Lausanne, wo man ihn begrub – doch die Erde wollte ihn nicht behalten und in der Nacht erschütterten Gewitter die verängstigte Stadt.
Jetzt hatte man genug. Man packte den unruhigen Geist des Pilatus und trug ihn weit weg auf einen hohen Berg oberhalb von Luzern, den Fracmont, wo man ihn in einen kleinen Bergsee warf. Doch auf dem Berg, den die Leute nun Pilatusberg nannten, trieb es der böse Geist schrecklicher als jemals zuvor. Den See brachte er zum Überlaufen und von einer Felsspitze aus, der Güpfe, verhexte er das Wetter. Bis ein fahrender Schüler aus der unterirdischen Schule vorbeikam und den Geist bannen konnte. Nur noch einmal im Jahr, am Karfreitag, darf dieser den See für eine kleine Wanderung verlassen. Er soll sich bis heute an den Pakt gehalten haben.
Der Schweizer Heimat- und Mundartdichter Meinrad Lienert hat Sagen und Heldengeschichten aus der dem ganzen Land gesammelt. Er lebte von 1865 – 1933.